Über die Sammlung

Jan Lingemann
Gelungenes Leben
Fotopraxis im Wahrnehmungsalltag der 50er, 60er und 70er Jahre

Ob Bergpanorama, Vorstadtidyll, oder zünftiges Familienfest – es sind Fundstücke, Dias allesamt, aus Wohnungsauflösungen, von Flohmärkten und neuen digitalen Marktplätzen, die einen so anspielungsreichen wie unwiderstehlichen Charme entwickeln. Man wird erfasst von dem warmen nostalgischen Strom, den diese Dokumente des Wahrnehmungsalltags in den 50er, 60er und 70er Jahren unweigerlich schaffen. Die Liebe in den Selbstinszenierungen, aber gleichermaßen ihre Naivität und Unbeholfenheit, berühren, und wecken doch den Soziographen im Betrachter. Die persönliche Fotopraxis enthüllt die private Erinnerungskultur der Zeit, die sich in der visuellen Gliederung der Ausstellung als eine öffentliche erweist. In der heilen Welt, im trauten Heim, der schönen Natur, oder auf der Reise nach fernen Gestaden - so wollten die Menschen, dass man sie im Bewusstsein erhält. Strukturen in Architektur und Mode, nicht museal inszeniert, sondern beiläufige Aufnahmen, die als kollektive Motivmuster gegliedert den geistigen und ästhetischen Kosmos einer Epoche spiegeln – eine Oral History der optischen Medien jener Zeit.

Und so schaut man gebannt der Projektion des Lebens, und dies gleich in doppeltem Sinne: als Dia-Schau, die mit rein visuellen Mitteln die Sehnsüchte und Wünsche einer ganzen Generation darstellt, welche dann ja nur selten auch wirklich im Alltag so gelebt wurden. Die Menschen auf den Fotos posieren, zeigen ihr Privates, das unmissverständliche "Hier bin ich!" oder auch "Hier bin ich mal gewesen", im Urlaub nämlich. Sie wollen Zeugnis ablegen von einem gelungenen Leben, und das nach Möglichkeit in KodakChrome-Qualität. Die Kamera ist dabei sowohl Erfüllungsgehilfe wie auch Zeuge. Das Amateurhafte der Bilder steigert noch die Lust des Betrachters. Denn auf dem Felde der photographischen Praxis, so war sich schon Roland Barthes sicher, überflügelt der Amateur den Professionellen, kommt er dem Wesen der Photographie am nächsten.

In ihrem melancholischen Abglanz scheinen die Bilder zudem eine feine (medien-)historische Linie zu bezeichnen. So offensichtlich sind sie darauf angelegt, dem unaufhaltsamen Strom des Lebens und seiner flüchtigen Abbildung etwas Substantielles, Bleibendes entgegenzusetzen. In der ego-zentrischen Geste des "Das bin ich!" und dem oftmals unbeholfenen Gestus des "Mein Haus, mein Auto, meine Frau, mein Urlaub etc." erscheinen sie wie die letzten Zuckungen einer sinnzentrierten Medienwelt. Waren der Sinn und die Sinne der Medien zu der Zeit von Sprache und Schrift noch von der Sinnseite dominiert, so sprengen Phonographie und Photographie mitsamt ihren Abkömmlingen Radio und Fernsehen das traditionelle Sinnprimat. Die Medien werden haptisch und kühl (McLuhan), bevor schließlich in den Metamedien PC und Internet alles zusammenfließt. Dieses schillernde, digitale Bildermosaik hat kein Zentrum mehr, keinen Fluchtpunkt (Jochen Hörisch). In der heutigen Welt des Internets, von MySpace und den millionenfachen, persönlichen Bildern und Profilen, gibt es keine Subjekte mehr, nur noch Schnittstellen. Was sie vor allem kommunizieren ist Kommunikation. Ihre Fotos sagen nicht mehr metaphysisch bemüht, "Hier, das bin ich!", sondern vielmehr "Ich bin irgendwo hier draußen, aber auf jeden Fall immer erreichbar". Die Dias stemmen sich noch mal dagegen, trotzen der neuen Gegenwart noch mal einen Moment lang Sinn ab: Hier bin ich, ein gelebtes Leben, bestenfalls ein Gelungenes, so ist die Welt, jetzt und hier. Darin liegt ihre spezielle Aura.

Die hochwertige Materialität der Bilder, ihre "natürliche" Ansicht der Farben, und das Ritual ihrer Darstellung bilden dabei auf verblüffende Weise eine Entsprechung. Spätestens in den 80er Jahren aber neigt sich die Zeit der Dias als massenhafte Kulturtechnik dem Ende zu. Doch ist es nicht (nur) amüsiert gestimmte Nostalgie, die diese Dia-Schau treibt, sondern vielmehr das anspielungsreiche Schwellenphänomen, das sie ausstellt.

In der Sammlung und Ausstellung "Gelungenes Leben" zeigen Uwe Jeltsch und Florian von Wissel mittels vier Projektoren rund 400 Diapositive. Die Bilder sind entsprechend kollektiver Motivmuster gruppiert. Seit acht Jahren sammeln, sichten und ordnen die beiden Grafik-Designer, die das Kölner Design-Büro hoop-de-la betreiben, Diapositive aller Art und haben viel Freude daran. Die Dia-Show wurde auch im Internet unter www.gelungenesleben.de aufbereitet; eine Buchpublikation ist in Planung. Wir wünschen viel Vergnügen.